Das Wirtschaftswunder zum Anfassen in einer früheren Militärkapelle
Die Besucher des Museums treten in ein architektonisch interessantes Gebäude ein, das 1947 von den US-Streitkräften nach dem so genannten „Grohn-Typus“ errichtet wurde – fast baugleich mit der Militärkirche in Bremen-Grohn auf dem Gelände der heutigen Jacobs-Universität.
Das Museum bezieht seine Anziehungskraft unter anderem aus seiner bundesweit einzigartigen Sammlung von Gegenständen nicht nur der alltäglichen Wohnkultur, sondern auch von Geschäftsinventaren der 50er Jahre – Lebensmittelladen, Textilgeschäft, Schreibwarenhandel, Friseur, Tankstelle, Arztpraxis, Amtsbüro, Kneipe, Zahnarzt, Jägerstube. Seit einiger Zeit geht es im Museum auch um lokalgeschichtliche Zusammenhänge: Aus den Bremerhavener 50er Jahren wurden eine Confiserie, eine Apotheke, ein Tante-Emma-Laden und die Hafenarzt-Praxis im Museumsmagazin eingelagert und werden derzeit für die Ausstellung vorbereitet. Einstige Lebenswelt so authentisch wie möglich zu präsentieren, ist eines der wesentlichen Ziele der Museumsgründung.
Das wichtigste Motiv dabei war jedoch, mit dem Museum eine Stätte der Erinnerung an eine Zeit zu schaffen, in der viele Deutsche sich mit der unmittelbaren deutschen Vergangenheit aus vielerlei Gründen nur ungern beschäftigten und sich stattdessen mit großem Elan und Zukunftsoptimismus auf den Wirtschaftswunderweg © begaben, mit Scheuklappen, wie es oft heißt. Nierentisch und Tütenlampe, Party und Petticoat, Bus-Reisen nach Italien, Musikfilme mit Peter Alexander, Star-Mix, Bosch- Kühlschrank und Isetta – vornehmlich aus solchen Symbolen für den bundesdeutschen Wiederaufstieg entsteht der heutige Blick auf die 50er Jahre.
Denn es ist in Deutschland nicht nur unverzichtbar, die Erinnerung an die furchtbaren Ereignisse der NS-Zeit ständig wach zu halten, sondern auch die deutschen Jahre ins Gedächtnis zu rufen, in denen die NS-Zeit möglichst ins Vergessen geraten sollte – die 50er Jahre. Der Publizist Ralph Giordano sprach angesichts dieser starken Verdrängungsleistung von einer „Zweiten Schuld“ der Deutschen – die erste waren die NS-Verbrechen, die zweite war deren Vergessen/Verleugnen in den 50er Jahren. Wer spricht angesichts von pastellfarbenen „Schwedenküchen“, Blumenhockern und Plastikvorhängen noch von dem damaligen Großen Schweigen, der Berührungsangst mit den 30er und 40er Jahren und ihrer Tabuisierung? Hat die umfassende kollektive Verschwiegenheit nicht in das gesellschaftliche und innerfamiliäre Klima hineingewirkt, in dem damals Kinder erzogen wurden? Wie sehr setzten sich diese Erscheinungen des geistig-emotionalen Herkommens in uns selbst fest, den Nachfahren? Werden sie nicht durch uns noch in die nächsten Generationen weiter getragen? Wurden nicht viele Nachkriegskinder zum Schweigen als Garant für äußerliche Harmonie erzogen, lernten in ihren Elternhäusern, Schwierigkeiten durch Schweigen zu meiden? In wie vielen Familien galten Fragen als unliebsam? Wie wirken sich Denk- und Sprechverbote noch nach Generationen aus?
Dieses „Fortsetzungskapitel“ des deutschen Vergessen-Wollens in den 50er Jahren ist bis heute immer noch weitgehend unbesprochen geblieben, und es drängt sich die Frage auf: Wieviel „50er Jahre“ steckt in uns noch heute?
Kerstin v. Freytag Löringhoff